Wer kriegt die Oma?

von 20. Jun 2015Gedanken ums Gedenken

Oder warum Abschaffung des Friedhofszwangs nicht automatisch weniger Regeln bedeutet.

Bei anderen Nationen zum Beispiel den USA oder Frankreich ist es schon Gang und Gäbe, in Bremen wurde erst kürzlich der Friedhofszwang für Urnen aufgehoben. Dort darf also nun jeder die Asche seiner verstorbenen Angehörigen mit nachhause nehmen, um sie dann im Garten oder wo auch immer in Bremen zu verstreuen. Begründet wird die Deregulierung mit dem „postmortalen Persönlichkeitsrecht“. Und der Friedhof sei sowieso für viele Menschen kein attraktiver Ort mehr.

Gut, zumindest das zweite Argument kann ich nachvollziehen, wenn ich mir viele Friedhöfe in unserer Umgebung anschaue: Ich möchte auch nicht in einer Urnenwand abgestellt werden oder in einem Rasenfeld bestattet, dass aussieht, also ob es mindestens schon ein Erdbeben überstanden hätte. Und wo Trauergäste bei Beerdigungen über mein Grab stolpern, weil die Kommune sich das Bauen von Wegen inzwischen spart.

Mehr Liberalisierung = weniger Regeln?

Aber zurück zur frei verfügbaren Asche. Wobei „frei verfügbar“ nicht ganz richtig ist. Denn in Bremen muss man vor seinem Ableben mindestens einen „Totenfürsorger“ bestimmen, und nur der hat dann das Recht an der Urne. Diese muss bestattet oder die Asche verstreut werden.  Doch bis auch diese Regel fällt, und die Urne den Kaminsims zieren darf, ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit. Spätestens dann wird klar, dass mehr Recht zur Selbstbestimmung auch mehr Pflichten zur Selbstbestimmung nach sich zieht.

Friedhofszwang

Was geregelt werden muss, wenn der Friedhofszwang fällt (und einige kreative Lösungsmöglichkeiten):

  1. Was geschieht, wenn jemand ohne letzten Willen stirbt, und seine Erben sich nicht einig sind in der Frage: Wer kriegt die Oma?
    Denkbar wäre ein Besuchsrecht an den einschlägigen Feiertagen und für zwischendurch. Oder die Asche wird vielleicht aufgeteilt … da hätten diese russischen Matroschkas endlich mal einen sinnvollen Verwendungszweck.
  2. Was ist mit der Trauer von Freunden und Arbeitskollegen, von Gisela aus dem Turnverein und vom Michael aus dem Kegelclub?
    Denn die wollen und dürfen vielleicht nicht bei der Witwe oder den Kindern privat klingeln und eine Kerze an die Urne oder in den Garten stellen.
  3. Was passiert mit der Urne, wenn mit der Zeit die Trauer weniger wird?
    Denn das geschieht ja glücklicherweise. Vielleicht will ich dann die Asche meiner Angehörigen nicht mehr so prominent auf dem Kaminsims stehen haben. Erst recht nicht, wenn mittlerweile auch die vom Opa und der Erbtante Ilse mit dabei stehen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon die Urnen im Keller zwischen den Einmachgläsern verstauben.

Friedhofszwang

  1. Was geschieht, wenn sich im Leben des Asche-Verwahrers selbst was dramatisch ändert?
    Sowas passiert schließlich jeden Tag: Man stirbt oder kommt zum Beispiel in ein Pflegeheim und kann sich nicht mehr kümmern. Man lässt sich scheiden oder hat finanzielle Probleme, und das Grundstück, auf dem die Asche verstreut wird verkauft. Wie wird dann die Zugänglichkeit gewährleistet? Und mindert das Verstreuen von Totenasche den Grundstückswert?
  2. Zum guten Schluss: Wer kontrolliert denn überhaupt den würdevollen Umgang mit den sterblichen Überresten dieser Menschen?
    Da wird dann möglicherweise der TÜV aktiv, oder die Urnen-Polizei kommt einmal im Jahr vorbei…

Es gibt auch Argumente für den Friedhof.

Bei allem Verständnis für den Wunsch nach Selbstbestimmung auch über den Tod hinaus, für den Friedhofszwang sprechen aus meiner Sicht zwei sehr gewichtige Argumente:
Der pietätvolle Umgang mit den Toten ist gewährleistet, und die öffentliche Zugänglichkeit der Grabstätte ist dauerhaft sichergestellt.
Ob letzteres nun in jedem Einzelfall notwendig ist oder nicht.
Wie die Asche auf dem Friedhof bestattet wird, ist eine ganz andere Frage, und ich fände es schön, wenn man dort viele unterschiedliche Varianten anbieten würde.

In Frankreich regelt man übrigens den Umgang mit der Totenasche nach Jahren der Liberalität wieder deutlich stringenter. Der Grund dafür: Unsere Nachbarn waren schlichtweg die ständigen Gerichtsverfahren zwischen den Hinterbliebenen leid. Da könnten wir doch ausnahmsweise mal aus den Erfahrungen anderer klug werden.

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Über Katja Hobler

Katja Hobler probiert unheimlich gerne sich selbst und neue Dinge aus. Daher ist sie sehr dankbar, dass sie bei Natursteine Glöckner nicht nur für Strategie, Marketing und CSR zuständig ist, sondern noch für eine gute Handvoll anderer Bereiche.

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